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P F I R B
Plattform Für InterReligiöse Begegnung

 

 

  Artikel / Texte

 


Erwin Neumann

Gewaltfreiheit und Friede

aus evangelisch-christlicher Sicht

 

Die Religionen sind alle ambivalent in ihrem geschichtlichen Erscheinungsbild. Frieden zu verwirklichen ist ihre Aufgabe und der Weg dahin ist Gewaltfreiheit. Trotzdem ist ihre Geschichte nicht bloß Ausdruck eines Friedensfestes. Immer wieder tendieren die Religionen dazu, die Realität auf eine Gut-Böse-Schablone zu reduzieren und das angeblich Böse mit Gewalt zu bekämpfen. Damit verfehlen sie ihre Aufgabe der Verwirklichung des Friedens, machen die Religion zu einer politischen Ideologie und missbrauchen sie.

 

Um Frieden in Gerechtigkeit zu realisieren, haben sich die Mitglieder der "Plattform für interreligiöse Begegnung" und der "Multireligiösen Stadt-, bzw. Bezirksforen" entschlossen, als Angehörige verschiedener Religionen, offen und engagiert zusammenzuarbeiten, um sich auf der Grundlage ihrer jeweiligen Glaubenstraditionen, mit den durch Hass und Gewalt entstandenen Problemen zwischen den Menschen auseinanderzusetzen und gewaltfrei nach Wegen des Friedens zu suchen.

 

Es stellt sich allerdings die Frage: "Sind die Grundlagen unserer Religionen tatsächlich so gewaltfrei, dass sie uns entscheidende Hilfestellung auf dem Weg zum Frieden bieten können? Als evangelischer Christ beziehe ich mich auf das Christentum, um die gestellte Frage zu beantworten.

 

                                     I s t  d a s  C h r i s t e n t u m  e i n e  L i e b e s r e l i g i o n ?

 

Wie ja bekannt ist, versteht sich das Christentum als Religion der Liebe. Bei Paulus heißt es im 1. Korintherbrief 13,13: "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen."

 

Ja, diese Liebe geht weit über die meist nachvollziehbare Nächstenliebe hinaus, indem sie auch über die Feinde ausgedehnt wird und Jesus praktiziert diese umfassende Liebe. Er wendet sich besonders den Schwachen, den Kranken, den Diskriminierten zu, an ihnen vollbringt er seine Wunder. Die biblische Geschichte sieht Jesus nicht an der Seite der Mächtigen, sondern an der Seite der "kleinen Leute", die im Schatten der bisherigen Geschichte gelebt haben. Er kommt im Stall von Bethlehem zur Welt, JüngerInnen und AnhängerInnen findet er vor allem unter Handwerkern, Fischern und Bauern.Und so hat sich die Geschichte nach seinem Tod zunächst auch fortgesetzt: ChristInnen, die sich in der Nachfolge Jesu sahen, haben sich bemüht, Mitmenschlichkeit und Solidarität zu verbreiten.

 

Wenn wir aber heute auf die Geschichte des Christentums zurückblicken, müssen wir feststellen, dass im Namen des Christentums keineswegs nur Gutes getan wurde. Es wurden schreckliche Grausamkeiten begangen. Ja, das Christentum ist Teil einer westlichen Kultur, die sich in ihrer Geschichte weniger durch Liebe, als durch Gewalt und Intoleranz ausgezeichnet hat. Es gibt kaum eine Kultur, die mehr Krieg und Zerstörung in die Welt gebracht hat, als die europäische, die sich viele Jahrhunderte lang als eine christliche verstand und teilweise noch heute versteht. Natürlich hatte dies immer mit gesellschaftlicher Machtausübung und mit materiellen Interessen zu tun, die das Christliche nur als Fassade benützten. Aber es gibt auch theologische Hintergründe, die die Ausübung von Gewalt erleichterten. Das beginnt schon mit der christlichen Gottesvorstellung.

 

Spätestens seit unter Theodosius d. Gr. im vierten Jahrhundert n. Chr. das Christentum zur Staatsreligion erklärt wurde, herrscht in der christlichen Tradition weitgehend das Patriarchat. Gott ist der Schöpfer der Welt, der allmächtige Herrscher und Richter über alles Leben. Gott ist auch der Vater Jesu Christi, der nach Opfertod und Auferstehung mit seinem göttlichen Vater herrscht, regiert und richtet. Natürlich ist da auch die göttliche Gnade die der gewinnt, der an Gott glaubt, d.h. sich ihm bzw. der kirchlichen Obrigkeit bedingungslos unterwirft, der das tut, was Gott und die Kirche vorgegeben haben und der glaubt, dass das Opfer seines Sohnes am Kreuz all seine Sünden tilgt. Da sich die Menschen in ihrer Angst und Not angesichts der realen Lebensprobleme immer wieder schwer getan haben, an die Worte der Erlösung zu glauben, setzte sich oft das Recht der Stärkeren durch.

 

Dazu kommen noch Worte, die Jesus in den Mund gelegt wurden und die zusätzlich verwirren wie: "Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Wenn dich aber dein rechtes Auge zum Abfall verführt, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde."(Matthäus 5,28 u.29).

Oder: "Und wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede nicht hören wird, so geht heraus aus diesem Haus oder dieser Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Wahrlich, ich sage euch: Dem Land der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher ergehen am Tage des Gerichts als dieser Stadt." (Matthäus 10,14 u.15).

 

Aber es gibt noch eine andere Linie des Christentums, die sich im Evangelium verfolgen lässt und die unter anderem in der Franziskusgemeinschaft und zum Teil im Rahmen der Reformation wieder auftaucht. Da heißt es z.B. im 1. Johannesbrief 4,7-10: "Ihr Lieben, lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn  Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden". Hier ist Gott nicht Herrscher und Richter, sondern vorauslaufende, bedingungslose, unbegrenzte Liebe, die in Jesus Christus erfahrbar geworden ist. Solche Liebe fordert nicht, sondern gibt immer und immer wieder. Glaube bedeutet im Blick auf solche Liebe nicht etwas für wahr halten oder etwas zu tun, sondern zu empfangen, sich beschenken zu lassen und als Konsequenz die empfangene Liebe weiterzugeben.

Das Handeln aus dieser Liebe ist immer gewaltfrei und führt zum Frieden.

 


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